Digital Humanities: Institutionalisierung, Methodik und Reflexion

Das SLUB TextLab will die Arbeit an und mit Texten revolutionieren. Vor diesem Hintergrund hat Dr. Juan Garcés am 19. Dezember 2018 eine Einführung in die Digital Humanities gegeben und einen kritischen Blick auf die junge Disziplin eröffnet. Gerade für die Geisteswissenschaften erleichtert die Digitalisierung die Arbeit mit großen Text Corpora. Zugleich droht der Drang dazu, mit Digitaltechniken neue Ergebnisse zu produzieren, ungewünschte Nebenwirkungen zu erzeugen.

Das Bild der nützlichen Wissenschaft, die mittels digitaler Hilfsmittel noch produktiver wird, stand bei dem Vortrag zur Kritik der Digitalität auf dem Prüfstand. Es ging dabei nicht nur um neue Möglichkeiten, sondern auch darum, wie sich das humanistische Bildungsideal sowie das Ideal der Freiheit von Forschung und Lehre im Rahmen des Hypes verwandeln könnten. Die Geisteswissenschaftler, so eine der Thesen, sollten mit dem Hype um Digital Humanities nicht lediglich versuchen ihre Disziplin zu „verkaufen“. Die Gründe für das Aufsehen um den Fachbereich sind laut Garcés vielfältig: Information wurde zum Leitbegriff der globalisierten Wirtschaft, Stellenanzeigen und Forschungsförderung werden häufig unter Bezug zu digitalen Hilfsmitteln veröffentlicht und die Disziplin wird unter stärksten Bemühungen institutionalisiert.

Einen Überblick über diese Entwicklung bot Garcés anhand der neu entstandenen Zentren zu Digital Humanities sowie anhand der Dachverbände, Konferenzen und Zeitschriften, welche sich der Disziplin verschrieben haben.
Die Einordnung der Digital Humanities leistete Garcés weiterhin anhand einiger Begriffsdefinitionen, der disziplinären und der institutionellen Anbindungen.

Das Potenzial der Digitaltechnik wurde anhand einer Untersuchung des Codex Sinaiticus dargestellt. Die Materialität von Originaltexten, die auch Fingerabdrücke von Schreibern oder Zersetzungen umfasst (Foto oben), könnte mit digitalen Medien eine ganz neue Bedeutung erfahren. Auch die Verbreitung der Materialien über das World Wide Web ermöglicht neuartige Forschungsansätze und Möglichkeiten. Ganz praktisch können auch antike Fragmente, die einem Brand zum Opfer gefallen sind, anhand morderner Technologien rekonstruiert werden.

Insgesamt zeichnet sich laut Garcés also ein Medienwandel ab, der mit der Formalisierung und Visualisierung von Daten neue Phänomene auf Metaebenen für die geisteswissenschaftliche Forschung zugänglich macht. Ein Beispiel dafür bietet die Stilometrie als forensisches Verfahren in der Linguistik, die es unter anderem ermöglicht Texteditionen und Übersetzungen dem Sprachduktus eines oder mehrer Autoren zuzuordnen.

Zuletzt beleuchtete Garcés in dem Vortrag den Gründungsmythos der Digital Humanities, angefangen beim Index Thomisticus von Roberto Busa, über die Kybernetik, welche zwischen 1950 und 1975 maßgebliche Erfolge erzielte, bis hin zur Geschichte der Digitalisierung und einigen Aspekten deren geisteswissenschaftlicher Aufarbeitung im gegenwärtigen Diskurs.

Ausgeklungen ist der Abend mit dem Jahresabschluss des Vereins in der Dresdner Neustadt.

Wir danken Dr. Juan Garcés für den erhellenden und inspirierenden Vortrag sowie dafür, diesen Online verfügbar machen zu können (PDF-Download, 6 MB)! Darüber hinaus freuen wir uns auf die weitere gemeinsame Arbeit am Themenkomplex Digital Humanities. Wer Interesse daran, schreibt bitt an dh [arroba] netphiltech [punkt] org